Dramatische Zeiten der Reformation haben den Charakter der Kirche in den letzten Jahrhunderten grundlegend verändert. Eine solche Phase historischer Veränderungen wurde sogar als „die Reformation“ bekannt – initiiert von Martin Luther. Luthers Einfluss auf die Kirche ist kaum zu unterschätzen. Nicht nur seine theologischen Reformen veränderten das Christentum im Mittelalter dramatisch. Noch viel substanzieller war die Tatsache, dass er den einfachen Gläubigen die Bibel in ihrer eigenen Sprache zurückgab.
Dank Luthers Übersetzung der Bibel in ihre eigene Umgangssprache konnten einfache deutsche Christen nun wieder selbst etwas über Gott lesen und erfahren. Zuvor galt es als Sakrileg (Entweihung, Frevel), wenn ungebildete Laien das Heilige Buch lasen. Doch die nun einsetzende weite Verbreitung und Verfügbarkeit der Bibel sollte alles verändern. Bald darauf übersetzten auch andere Nationen die Bibel in ihre eigenen Sprachen. König James I. autorisierte eine offizielle Übersetzung ins Englische vor ein wenig mehr als 400 Jahren. Eine französische Übersetzung folgte. In den nachfolgenden Jahrhunderten entdeckte die Kirche weitere biblische Wahrheiten durch sich anschließende Wellen der Reform.
Heute sehe ich eine weitere Welle der Reformation auf die Gemeinde zukommen; sie hat mit Israel zu tun. Das Verständnis der frühen Christenheit für Gottes ewige Pläne mit Israel und unsere Verbindung zum jüdischen Volk muss wieder zurück in die Hauptströmungen des Christentums gebracht werden.
Die Reformation der Weltmission
Die Mission unerreichter Nationen ist ein beeindruckendes Beispiel für die Wiederentdeckung ursprünglicher apostolischer Lehrsätze, die dann die Kirche reformierten. Die reformierten protestantischen Kirchen in Europa zeigten wenig Eifer dafür, heidnische Nationen zu erreichen. Sie konzentrierten sich vielmehr darauf, die Kirchen in Europa zu verändern. Als Leiter der pietistischen Erweckungsbewegung wie Philip Jacob Spener und Graf Nikolaus von Zinzendorf die ersten Missionare aussandten, stieß dies bei vielen lutherischen Geistlichen auf Widerstand.
David J. Bosch berichtet in seinem Buch Transforming Mission, dass die Gegner der Mission behaupteten „das Amt des Apostels war verschwunden; dass Gottes Gnade nicht mehr so mächtig wirkte, wie am Anfang; dass die Heiden unter einem Fluch stünden; dass Gott, sollte er sie retten wollen, dies ohne menschliche Anstrengungen tun könnte.“
Doch diese Haltung änderte sich. Am Ende des 18. Jahrhunderts machten sich Missionare wie Willam Carey auf den Weg nach Indien, Hudson Taylor etablierte die „China Inland Mission“ und David Livingstone brachte das Christentum in das Herz des bisher unerreichten Afrika. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Weltmission zu einem Teil des rechten Glaubens, der Orthodoxie der Kirche geworden. Heute gibt es kaum eine Gemeinde, die kein Budget für Mission hat oder nicht wenigsten einen Missionar irgendwo auf der Welt unterstützt.
Die Israel-Reformation
Heute steht eine neue Phase der Reformation bevor. Sie hat mit der Beziehung der Gemeinde zu Israel zu tun. Ich glaube, dass es in den kommenden Jahrzehnten kaum eine Gemeinde ohne Beziehung zu Israel geben wird. Ein Budget um „Israel zu segnen“ wird genauso natürlich sein, wie ein Missions-Budget.
Mit wenigen Ausnahmen hatten die meisten Kirchen und Gemeinden in der Vergangenheit nur ein sehr begrenztes Verständnis von Israel oder dem jüdischen Volk. Wenn sie sich für die Juden interessierten, stießen sie oft auf Widerstand, ähnlich wie diejenigen, die versuchten, das Erreichen heidnischer Nationen voran zu bringen.
Viele Theologen lehrten, dass Gott die Juden verstoßen hätte, die jetzt ein verfluchtes Volk seien. Sie bestanden darauf, dass die Gemeinde Israel ersetzt hätte und dass es kein nationales Schicksal mehr für die Juden gäbe. Jahrhunderte lang war dies die vorherrschende Sichtweise der meisten etablierten Kirchen in Europa. Jede gegenläufige Äußerung wurde brutal zum Schweigen gebracht. 1589 wurde der erste Geistliche, der öffentlich über die verheißene Wiederherstellung Israels schrieb, auf dem Scheiterhaufen verbrannt, sein Name war Francis Kett.
Ein Paradigmenwechsel für Israel und die Gemeinde
Doch in unseren Tagen geschieht ein großer Paradigmenwechsel zum Thema Israel. Gott hat seine Handlungsweise gegenüber Israel auf dramatische Art und Weise verändert, der Prophet Sacharja beschreibt es am besten: „So spricht der HERR Zebaoth: Gleichwie ich euch zu plagen gedachte, als mich eure Väter erzürnten, spricht der HERR Zebaoth, und es mich nicht gereute, so gedenke ich nun wiederum in diesen Tagen wohlzutun Jerusalem und dem Hause Juda. Fürchtet euch nur nicht!“ (Sacharja 8, 14+15)
Mit anderen Worten, Gott legt einen anderen Gang ein in seinem Umgang mit seinem auserwählten Volk. In den letzten 100 Jahren hat Gott vom Rückwärtsgang in den Vorwärtsgang umgeschaltet. Israel wird genauso wiederhergestellt, wie es die Propheten voraussagt haben. Niemand kann die dramatische Angleichung aktueller Ereignisse an biblische Prophetien im heutigen Nahen Osten übersehen.
Das bedeutet, dass die Realitäten im Nahen Osten die Lehre der Ersatztheologie (die dieser Tage auch als „Erfüllungstheologie“ maskiert wird) eindeutig widerlegen. Der wiedergeborene Staat Israel ist eine prophetische vollendete Tatsache, die beweist, dass Gott an seinen Bündnissen festhält. Das seinerseits bedeutet, dass die Kirche und Gemeinde sich mit einer vollkommen neuen Realität auseinandersetzen muss. 1900 Jahre lang hat niemand gefragt: „Wie gehen wir mit der Rückkehr der Juden in ihre angestammtes Heimatland um?“ Doch heute muss diese Frage gestellt werden.
Die Auflösung dieses Dilemmas hat keine Parallele in der bisherigen Kirchengeschichte. Keine vorhergehende Generation musste sich damit auseinandersetzen. Das bedeutet, dass die kommenden Jahre zu den spannendsten der Kirchengeschichte überhaupt gehören werden, da wir uns in einer Phase der beispiellosen Wiederherstellung zugunsten des jüdischen Volkes befinden.
Zurück zu den Wurzeln
Die gute Nachricht ist: Wir müssen keine neue Theologie erfinden. Es stimmt, dass es Jahrhunderte lang in der Kirchengeschichte keinen Staat Israel gab und die Juden in aller Welt zerstreut lebten. Doch zu der Zeit, als der Großteil des Neuen Testaments geschrieben wurde, gab es noch ein politisches jüdisches Staatsgebilde im Lande Israel. Zwar befand es sich unter römischer Besatzung, doch die meisten Juden der damaligen Zeit lebten noch in ihrer angestammten Heimat und genossen ein gewisses Maß religiöser Autonomie. Daher findenwir, wenn wir betrachten, wie die Apostel die heidnischen Gemeinden auf der ganzen Welt über ihre Beziehung zum jüdischen Volk unterrichteten, sehr klare Aussagen darüber, wie sich die Gemeinde auch heute gegenüber Israel verhalten sollte.
1. Erinnert Euch an eure heidnische Vergangenheit
Der Apostel Paulus erinnerte die heidnischen Gläubigen in Ephesus und Rom als erstes an ihre vorher hoffnungslose Lage. Heute, nach über 2000 Jahren des Christentums, das sich selbst bis auf die entferntesten Inseln der Welt verbreitet hat, fühlt es sich für uns merkwürdig an, uns als „Heiden“ zu sehen. Doch Paulus musste die Gemeindeglieder in Rom daran erinnern, dass sie als Nichtjuden mit den Zweigen eines wilden Ölbaumes zu vergleichen waren. Solche wilden Olivenbäume bringen nur ungenießbare Früchte hervor und sind kaum mehr als ein unnützer Busch.
An die Gemeinde in Ephesus appellierte Paulus: „Darum denkt daran, dass ihr, die ihr von Geburt einst Heiden wart und Unbeschnittene genannt wurdet von denen, die äußerlich beschnitten sind, dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und Fremde außerhalb des Bundes der Verheißung; daher hattet ihr keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt.“(Epheser 2,11-12)
Paulus erinnert beide Gemeinden auch daran, dass sie nur mit Gott versöhnt werden und Teil seines Volkes werden konnten, wenn sie ihren Glauben in einen jüdischen Messias setzten. Nur das Buch der Juden, die Bibel, gibt uns die Hoffnung, einen liebenden Gott kennen lernen zu dürfen.
Das bedeutet, dass jede heidnische Gemeinde sich in aller Demut sehr bewusst an ihre eigene Vergangenheit erinnern muss.
2. Ehrt die hebräischen Wurzeln eures Glaubens
Paulus verkündet der Gemeinde in Rom: „so rühme dich nicht gegenüber den Zweigen. Rühmst du dich aber, so sollst du wissen, dass nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich“ (Römer 11,18).
Das bedeutet, dass nichtjüdische Gläubige die jüdischen Wurzeln ihres Glaubens weder zurückweisen noch lächerlich machen, sondern sie pflegen sollten, wie man die Wurzeln eines Baumes hegt und pflegt. Adam Clark formuliert es so wunderschön, dass nämlich durch das jüdische Volk „aller Segen und alles Herausragende, das ihr genießt, euch geschenkt worden ist.“
Oder zitieren wir den presbyterianischen Theologen Marvin Vincent in seinem Buch „Word studies in the New Testament“ (Wortstudien im Neuen Testament): „Die Lebenskraft und der Segen werden vom Heiden durch den Juden empfangen, und nicht vom Juden durch den Heiden. Der geistliche Plan bewegt sich vom Bund mit Abraham abwärts und von der israelitischen Nation nach außen.“ Oder, wie Jesus es selbst formulierte: „Das Heil kommt von den Juden!“ (Johannes 4,22)
Das bedeutet, dass jede Gemeinde des Neuen Testaments die Rolle Israels als Quelle des „Segens für alle Familien der Erde“ anerkennen und die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens respektieren muss.
3. Schätzt die unwiderrufliche Berufung Israels
Die Briefe des Neuen Testaments betonen sehr stark die ewige Berufung Israels. Selbst wenn das jüdische Volk Jesus als seinen Messias nicht erkennt und sogar zu „Feinden des Evangeliums“ geworden ist, nennt Paulus sie immer noch „Geliebte um der Väter willen“ (Römer 11,28).
Das heißt, wenn Gott Israel immer noch liebt, so wie es ist, dann sollte die Gemeinde dasselbe tun. Paulus widerspricht jedem Vertreter der Ersatztheologie ganz direkt: „Dass aber einige nicht treu waren, was liegt daran? Sollte ihre Untreue Gottes Treue aufheben? Das sei ferne! Es bleibe vielmehr so: Gott ist wahrhaftig und alle Menschen sind Lügner;“ (Römer 3,3+4)
Selbst wenn sie untreu sind, Gott steht immer noch treu zu seinen Bundesschlüssen, Er kann sich nicht verleugnen. Alles andere wäre eine Lüge.
Das bedeutet, dass jede neutestamentliche Gemeinde die ewige Berufung Israels bestätigen und verkündigen muss.
4. Erkennt eure geistlichen Schulden gegenüber Israel
Paulus machte es nichtjüdischen Gläubigen sehr deutlich, dass das jüdische Volk bereits alles bereitgestellt hatte, was für unsere Beziehung zu Gott nötig war. Die Bibel ist ein jüdisches Buch, wir dienen einem jüdischen Messias, und es waren die jüdischen Apostel, die das Evangelium in der heidnischen Welt verbreiteten. Paulus sagt daher, dass wir heidnische Gläubige Schuldner Israels sind.
„Denn die in Mazedonien und Achaja haben willig eine gemeinsame Gabe zusammengelegt für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem. Sie haben's willig getan und sind auch ihre Schuldner. Denn wenn die Heiden an ihren geistlichen Gütern Anteil bekommen haben, ist es recht und billig, dass sie ihnen auch mit leiblichen Gütern Dienst erweisen.“ (Römer 15,26+27).
Das bedeutet, dass jede neutestamentliche Gemeinde sehr bewusst und zielgerichtet darauf achten muss, wie sie die durch das jüdische Volk empfangenen Segnungen zurückgibt.
5. Erwartet die Wiederherstellung Israels
Im Neuen Testament bestätigen die Apostel die ewige Berufung Israels und hoffen und vertrauen fest darauf, dass Israel wiederhergestellt wird. Dies zeigt sich in der letzten Frage, die die Apostel Jesus vor seiner Himmelfahrt stellten: „Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?“ (Apostelgeschichte 1,6)
Paulus vermittelt diese Hoffnung auch der Gemeinde in Rom: „Denn wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was wird die Annahme anders sein als Leben aus den Toten?“ (Römer 11,15) Mit anderen Worten, er betont, dass auf Israel noch eine wunderbare Berufung und ein ebensolcher Segen warten.
Das bedeutet, dass jede Gemeinde eine Theologie der Hoffnung für Israel annehmen und seine volle Wiederherstellung erwarten sollte.
6. Verbindet Euch mit Israel!
Genauso wie die Vision der Weltmission innerhalb der Gemeinde erneuert wurde, braucht es auch eine Reformationen, die die Kirche wieder mit ihren jüdischen Wurzeln verbindet. In der Zukunft kann sich eine gesunde Gemeinde es nicht mehr länger leisten, Israel zu ignorieren. Das muss von jeder Kanzel gepredigt und integraler Bestandteil der Aktivitäten, der Gebete und der Opfer jeder Gemeinde werden. Wir sehen, dass dies auf der ganzen Welt bereits geschieht. Die Zeit der Reformation ist da! Schließt euch Pastoren und Gläubigen auf der ganzen Welt auf dieser spannenden und historischen Reise an!