von Ester Heinzmann
Neben der Bezeichnung Aschkenasim für deutschstämmige Juden gibt es ein weiteres interessantes Vermächtnis des mittelalterlichen Judentums in Deutschland, das bis heute erhalten geblieben ist: Jiddisch.
Jiddisch (wörtlich: jüdisch) gehörte neben Hebräisch und Aramäisch zu den drei Sprachen der aschkenasischen Juden und war am Vorabend des Zweiten Weltkriegs die Alltagssprache von schätzungsweise 11 Millionen Menschen.
Foto: Wikimedia Commons, Ältester bekannter jiddischer Satz im Wormser Machsor, 1272.
Ursprung des Jiddischen
Jiddisch entwickelte sich vermutlich im 9. bis 12. Jahrhundert in Südwestdeutschland, als Juden aus Frankreich und Italien sich in den Bischofsstädten entlang des Rheins niederließen. Das Jiddische verbindet mitteldeutsche, hebräische und aramäische Elemente. Auch ein romanischer Einfluss ist zu finden. Nachdem die aschkenasischen Juden infolge der mittelalterlichen Pogrome Deutschland in Richtung Osteuropa verließen, fanden auch slawische Worte ihren Weg ins sog. Ostjiddisch.
Westjiddisch und Ostjiddisch
Während im 18. Jahrhundert jüdische Aufklärer (Maskilim) Westjiddisch als rückständigen „Jargon“ ablehnten und den Gebrauch des Deutschen als Alltagssprache forcierten, konnte Ostjiddisch sich in Osteuropa und im russischen Zarenreich etablieren - begünstigt dadurch, dass Juden nur in einem geographisch begrenzten Gebiet ansässig werden durften.
Jiddische Literatur
Mit hebräischen Schriftzeichen versehen, und wie Hebräisch von rechts nach links gelesen, existierte Jiddisch auch in geschriebener Form. Bedingt durch die Erfindung des modernen Buchdrucks breiteten sich jiddische Publikationen, zumeist religiöser Natur, ab dem 16. Jahrhundert europaweit aus. Im 19. Jahrhundert entstand eine moderne jiddische Literatur. Einer der vielleicht bekanntesten jiddischen Schriftsteller war Scholem Alejchem (1859-1916), dessen Roman Tewje, der Milchmann als Vorlage des berühmten Musicals Anatevka (1964) diente.
Verbreitung und Vernichtung
Mit der Emigration aschkenasischer Juden aus Osteuropa Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete sich Jiddisch auf der ganzen Welt. Juden sprachen es an ihren neuen Wohnorten wie z.B. in Nord- und Südamerika, Australien und Südafrika und machten es somit zur weltweit am weitesten verbreiteten Sprache.
In Europa wurde Jiddisch Mitte des 20. Jahrhunderts fast gänzlich ausgelöscht. Im Holocaust wurde etwa die Hälfte der weltweit Jiddisch sprechenden Menschen ermordet. In der stalinistischen Sowjetunion wurden, beginnend mit dem Großen Terror von 1936-1938, jiddische und hebräische Bibliotheken und Schulen geschlossen, jiddische Theater und Zeitungen verboten und zahlreiche jiddische Poeten und Schriftsteller exekutiert.
Jiddisch in Israel
Viele zionistische Visionäre im Osmanischen Reich und späteren britischen Mandatsgebiet Palästina lehnten den Gebrauch des Jiddisch vehement ab. In ihren Augen versinnbildlichte Jiddisch - oft ihre eigene Muttersprache - die Vorstellung des „unterdrückten und verfolgten Juden“ der Diaspora. Das von Elieser Ben-Jehuda neubelebte Hebräisch hingegen galt als Sprache des „starken und selbstbewussten Hebräers“, der in Selbstbestimmung im Land Israel lebte. Heute sprechen noch rund 1,5 Millionen Menschen Jiddisch, viele von ihnen sind ultraorthodoxe Juden.
Jiddisch im deutschen Sprachgebrauch
Jiddisch wurde wesentlich vom Deutschen beeinflusst. Doch auch umgekehrt fanden jiddische Ausdrücke ihren Weg in den deutschen Sprachgebrauch. Bekannt sind Worte wie Mischpoke (aus dem Hebräischen mischpacha = Familie), Zorres (zarot = Kummer) oder Tacheles (tachlit = zielgerichtet). Vielleicht weniger bekannt sind Kaff (kfar = Dorf), Kies (kis = Geldbeutel), betucht (batuach = vertrauenswert, sicher), dufte (tov = gut) oder Stuss (stuyot = Unsinn).
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