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Das Geschenk des Schabbats

Schätze des Hebräischen Denkens

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Posted on: 
7 Mai 2021
Das Geschenk des Schabbats

Bis zu unserer Alijah im August 1993 lebten meine Frau Leah und ich in Toronto. Im Sommer unseres ersten Ehejahres beschlossen wir, einen Schabbat beim Zelten in den schönen Wäldern Kanadas zu verbringen.

Foto: Rabbi Shmuel Bowman

Schabbat-Beginn

Viele Kanadier hatten die Idee, am Wochenende die Stadt zu verlassen. So blieben wir im dichten Verkehr stecken. Orthodoxe Juden, die der Wegweisung der Tora für den Schabbat folgen, beenden viele Aktivitäten rechtzeitig vor Sonnenuntergang am Freitag, wenn der Schabbat beginnt – eine Auszeit von etwas mehr als 24 Stunden. Ich erkannte, dass wir unser Ziel nicht mehr vor Schabbat-Beginn erreichen würden, deshalb versuchten wir, einen anderen Campingplatz oder ein Hotel zu finden – ohne Erfolg. Die Halacha, das jüdische Gesetz, gestattet es, die Schabbat-Regeln in einer lebensbedrohlichen Lage zu brechen. Aber das war hier nicht der Fall. Wegen meiner falschen Einschätzung und unrealistischen Zuversicht, rechtzeitig anzukommen, standen wir vor der unangenehmen Aussicht, den Schabbat am Straßenrand verbringen zu müssen.

Ruhe finden

Plötzlich sah ich ein Schild „Rastplatz für Pilger“. Ein Wunder! Wir bogen ab und rasten zum Empfang des Campingplatzes. In Lichtgeschwindigkeit erledigten wir die Anmeldeformalitäten - der Schabbat würde gleich beginnen. In Rekordzeit stellten wir unser Zelt und unseren Picknicktisch für das Schabbat-Essen auf. Bei Sonnenuntergang zündete Leah die Schabbat-Kerzen an. Ich sprach den Kiddusch, den Segen über dem Wein, und wir atmeten erleichtert auf: Wir hatten es geschafft. Als wir aufsahen, stellten wir fest, dass unsere Zeltnachbarn uns interessiert und neugierig beobachteten. Wir befanden uns auf einem christlichen Campingplatz der Reformierten Kirche. Sicher waren wir die ersten Juden, die hier zelteten. Während des Schabbats spazierten wir durch den schönen Park, lasen am Ufer des Sees und unterhielten uns angeregt mit den gastfreundlichen Leuten, mit denen wir uns anfreundeten. Es war ein unvergesslicher Schabbat. Wir fühlten uns gesegnet und waren dankbar, die Schabbat-Gebote halten zu können.

Gute Gabe

Das Konzept des Schabbats kann ein kompliziertes Paket von Regeln sein. Man müsste wohl Experte sein, um zu ergründen, was gemäß unserer 3000jährigen Wahrung der zehn Gebote (2. Mose 20,8) und der vielen Details, die unsere Weisen im Laufe der Jahrhunderte gelehrt haben, erlaubt oder nicht erlaubt ist. Doch hier möchte ich nicht darauf eingehen „wie“, sondern „warum“ der Schabbat gefeiert wird. Das „warum“ ist Herz und Seele dieser Mitzwa (Tora-Gebot). Eine Hauptkritik an der Einhaltung des Schabbats ist das Verbot, zu arbeiten und Neues zu schaffen. Selten berücksichtigen die Kritiker das Positive wie z.B. Gebetszeiten, Festessen, Bibelstudien und Familienbeziehungen. Gott gab den Schabbat mit der folgenden Anleitung: bewahren und ehren. Das bedeutet, dass Verbote und Handlungen Hand in Hand gehen. Die Verbote abzulehnen wäre, als ob man sich beim Autofahren über Ampeln ärgerte. Für wichtige Dinge im Leben gibt es Regeln.

Vor ein paar Jahren besuchten einige Amerikaner Israel. Ich nahm sie mit nach Jerusalem, kurz bevor der Schabbat begann. Die Stimmung in der Altstadt war begeisternd und erhebend. Bewohner und Besucher bereiteten sich auf den Beginn des Schabbats vor. Der Duft frisch gebackenen Challah-Brots lag in der Luft, Töpfe und Pfannen klirrten, als zahlreiche Abendessen zubereitet wurden. Es ist ein besonderer Moment. Der Schabbat bringt uns in Erinnerung, dass die Arbeitsruhe kein menschlicher Einfall ist, sondern ein Geschenk Gottes.

Freude unter Beschuss

Es ist kein Geheimnis, dass Juden mit Freude den Schabbat halten. Selbst unsere Feinde wissen das. Während des Golfkrieges 1991 war ich Volontär bei der israelischen Armee. Ich bin überzeugt, dass Iraks Präsident Saddam Hussein viele Scud-Raketen absichtlich am Freitagabend auf Tel Aviv und Haifa feuerte, um unsere Schabbat-Freude zu stören. Eines Freitagabends hatten wir uns auf einem Militärstützpunkt nahe Tel Aviv gerade zum Schabbat-Essen zusammengesetzt, als plötzlich die Sirene losheulte: Raketenalarm. Die Raketensalve aus dem Irak ließ das Schabbat-Essen, auf das ich mich gefreut hatte, ausfallen. Ich rannte mit den Soldaten zum abgedichteten Schutzraum und wartete auf die gewohnten lauten Explosionen. Plötzlich klopfte es. Unter dem feindlichen Beschuss brachte uns Boaz, der Militärkoch, mit aufgesetzter Gasmaske unser Schabbat-Essen. Ich werde es für immer in Ehren halten.

Heute feuert die islamistische Terrororganisation Hamas mit sadistischer Regelmäßigkeit Raketen auf Orte in Südisrael – bevorzugt am Freitagabend, zur Zeit des Schabbat-Essens. Doch die Hamas liegt falsch, wenn sie glaubt, dass ihr gewalttätiger Terrorismus Israelis jemals davon abhalten wird, den Schabbat zu feiern.

Verbundenheit

Die allgemeingültige Botschaft des Schabbats spricht Juden wie Nichtjuden an. Am 9. Oktober 1994 verließ der 19jährige israelische Soldat Nachshon Wachsman sein Zuhause in Jerusalem, um an einem eintägigen Trainingslehrgang in Nordisrael teilzunehmen. Er wurde von palästinensischen Terroristen der Hamas entführt und sechs Tage als Geisel gehalten. Am Freitagabend, dem 14. Oktober, versammelten sich 100.000 Menschen an der Westmauer in Jerusalem. Sie repräsentierten alle religiösen, politischen und sozialen Strömungen in der Bevölkerung. Nachshons Mutter Esther Wachsman bat die Frauen, eine zusätzliche Schabbat-Kerze für ihren Sohn zu entzünden. Zu ihrem Erstaunen reagierten tausende Menschen weltweit auf ihre Bitte. Es war ein Schabbat des globalen Gebets für das Wohlergehen und die sichere Rückkehr Nachschons, eine Insel der Koexistenz in einem tobenden Meer des Hasses, und berührte alle, die sich mit ihren Kerzen und ihrer Hoffnung beteiligten. Traurigerweise wurde Nachshon von seinen Entführern ermordet, als ein Kommando israelischer Soldaten versuchte, ihn zu befreien.

Schabbat daheim

Die Corona-Lage hat uns gelehrt, dass es zuhause sicher ist, während Kirchen und Synagogen geschlossen wurden. Ich sehe es so, dass Gott uns aus den Gotteshäusern hinausgeworfen hat, damit wir die Heiligkeit in unseren Häusern wieder herstellen und zurückgewinnen können. Ich habe diese Einladung angenommen und war begeistert, eine neue Perspektive zu Gebet und Anbetung in meinem Heim zu entwickeln. Es wurde ein Familienprojekt und alle freuten sich, Gott in unserem Wohnzimmer zu begegnen. Die Schabbat-Gebete zuhause waren wohlig und gut. Meine Kinder und ich haben die Kraft der Schabbat-Gebete entdeckt, die wir gemeinsam singen. Neue Familientraditionen wurden gestaltet, um miteinander und mit dem Allmächtigen in Verbindung zu treten. Es ist traurig, wenn jemand, gleich welchen Glaubens, das Offenhalten religiöser Gebäude zu einer Frage religiöser Rechte macht. Offenbar verpassen diese Leute die unglaubliche Gelegenheit, Heim und Familie neu zu beleben und die Stellung und Zentralität eines großen Gebäudes mit Bankreihen und Stühlen zu überdenken.

An jedem Ort

Neulich entdeckte ich unerwartet einen weiteren Ort zum Schabbat feiern: das Hadassah-Krankenhaus in Jerusalem. Letztes Jahr im Juni hatte ich eine Notfall-Rückenoperation und war zehn Tage lang ein willkommener Gast (Patient). Mein Sohn Yoav blieb die meiste Zeit bei mir und trug dazu bei, den Schabbat besonders zu gestalten. Am zweiten Schabbat im Krankenhaus feierten wir die melancholische Atmosphäre des Samstagnachmittags, kurz vor Ende des Schabbats, beteten und sangen Psalmen im Gemeinschaftsbereich der orthopädischen Abteilung.

Unsere Stimmen klangen wohl auf den Flur hinaus bis in die Patientenzimmer. Eine Frau kam und bat uns, die Hawdala-Zeremonie zum Schabbat-Ausklang durchzuführen. Sie trennt den Schabbat von der neuen Woche. Ihre 15jährige Tochter hatte einen schrecklichen Unfall und das Genick gebrochen. Yoav und ich betraten ihr Zimmer und sahen, dass sie von einem Metallgestell über ihrem Kopf und Oberkörper ruhig gehalten wurde. Sie konnte sich nicht bewegen, aber ihre geöffneten Augen blickten sanft. Da ich selbst Vater bin, empfand ich sofort Mitgefühl für die Mutter und wurde von Traurigkeit überwältigt. Der Kummer schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte nicht sprechen und bat Yoav, die Hawdala-Zeremonie zu übernehmen. Einen Becher Wein und Gewürze haltend und die LED-Deckenlampe als Kerze verwendend betete er von Herzen und wir alle wurden dadurch gesegnet. Am Ende sahen Yoav und ich uns wortlos an und erkannten: Vielleicht war es genau dieser Moment, weswegen wir im Hadassah-Krankenhaus hatten sein sollen.

Einladung

Der Schabbat kann nur bis zu einem gewissen Punkt mit Worten beschrieben werden. Alles weitere muss dem Singen und Tanzen, der Heiligung jeden Moments und jeder Handlung, den festlichen Mahlzeiten und der Verbundenheit mit der Familie überlassen werden. Kommen Sie nach Israel und erleben Sie die Vollendung dieser Geschichte. Schabbat Schalom!

Über den Autor:

Shmuel Bowman ist orthodoxer Rabbiner und Thoraschreiber. Er wohnt mit seiner Familie an einem zutiefst biblischen Ort: in der jüdischen Ortschaft Efrat im Westjordanland. Der langjährige gute Freund und Partner der ICEJ setzt sich als Direktor der Organisation „Operation Lifeshield“ entschieden für das Leben ein, indem er mobile Bunker zum Schutz vor Raketen an Israels Grenzen aufstellt.

Weiterlesen und Vertiefen - BUCHTIPP: Jüdisches Gebetbuch - Schabbat und Werktage.

Ein Gebetbuch ist der beste Einblick in die Seele des jüdischen Glaubens. Diese ausdrucksvolle deutsche Übersetzung bewahrt die poetische Sprachkraft des Originals.

 


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