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Von Dr. Jürgen Bühler, Geschäftsführender ICEJ-Direktor, Jerusalem
Eine der spannendsten Passagen der Bibel, die sich mit Wiederherstellung beschäftigt, finden wir in der Beschreibung der Verklärung Jesu. Drei seiner Jünger hatten das Vorrecht, Mose und Elia erscheinen zu sehen, ebenso wie Jesus, der umgestaltet wurde und hell strahlte wie die Sonne.
Als Jesus mit diesen drei Jüngern vom Berg der Verklärung zurückkehrte, waren sie immer noch unter dem Einfluss dieser persönlichen Begegnung mit den drei großen Gestalten der Geschichte Israels. Daher stellten sie Jesus eine interessante Frage: „Was sagen denn die Schriftgelehrten, dass Elia zuerst kommen müsse?“(Matthäus 17,10).
Die Tage Elias
Ihre Begegnung mit Elia hatte die drei Jünger an eine alte jüdische Tradition erinnert. Laut dieser Tradition wird Elia noch vor dem Messias erscheinen, um das Volk auf seinen König vorzubereiten. Sie geht auf eine Vision des Propheten Maleachi zurück, der erklärt: „Siehe, ich sende euch den Propheten Elia, bevor der Tag des HERRN kommt, der große und furchtbare. Und er wird das Herz der Väter zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern umkehren lassen, damit ich nicht komme und das Land mit dem Bann schlage“ (Maleachi 3, 23+24).
Diese Tradition lebt noch bis heute weiter. An einem bestimmten Punkt während des alljährlichen Passah-Mahls öffnete jede jüdische Familie ihre Tür, um Elia einzuladen. Ein besonderer Stuhl wird für ihn reserviert, sollte er in diesem Jahr kommen.
Die Jünger fragten Jesus daher, was er von dieser Tradition halte, und Jesus antwortete: „Elia kommt zwar und wird alle Dinge wiederherstellen. Ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden“ (Matthäus 17, 11-12).
Jesus weist also auf eine doppelte Erfüllung der Elia-Tradition hin. Eine Erfüllung blickte in die nahe Vergangenheit auf Johannes den Täufer, der den Weg für das erste Kommen des Messias vorbereitet hatte. Die andere schaut auf das künftige Kommen Elias, wenn er „alles wiederherstellen“ wird.
Johannes der Täufer repräsentierte diesen Dienst des Elia für seine eigene Generation. Bereits als seinem Vater seine Geburt angekündigt wurde, bezeichnete der Erzengel Gabriel Johannes als einen, der „vor ihm hergehen (wird) in dem Geist und der Kraft des Elia, um der Väter Herzen zu bekehren zu den Kindern…, um dem Herrn ein zugerüstetes Volk zu bereiten“ (Lukas 1,17).
Johannes der Täufer selbst verkörperte nicht die physische Wiederkunft des Elia, da er seinen Eltern Zacharias und Elisabeth geboren wurde. Doch die Salbung und der Geist des Elia waren auf ihm, was bedeutet, dass dieselbe Salbung zum Dienst, die in Elia wirksam war, auch auf Johannes dem Täufer ruhte.
Jesus erklärte jedoch, dass der Dienst des Johannes nicht die „Wiederherstellung aller Dinge“ bringen würde. Im Gegenteil, „sie haben….an ihm getan, was sie wollten“. Tatsächlich war Johannes erst ein paar Monate zuvor von Herodes, dem Tetrarchen geköpft worden, auf besondere Bitte der Frau seines Bruders Philippus (Matthäus 14).
Aber Jesus sagte auch, dass Elia tatsächlich in der Zukunft selber kommen würde, um „alle Dinge wiederherzustellen“. Vor der ersten Ankunft des Messias kam Johannes der Täufer, und ihrer beider Dienst zeichnete sich durch Leiden aus. Doch dem zweiten Kommen des Messias wird ein Dienst des Elia vorangehen, der die Wiederherstellung aller Dinge beinhaltet.
Die Hauptberufung von Johannes dem Täufer bestand darin „dem Herrn ein Volk vorzubereiten“. Gleichermaßen wird es ein Wirken Gottes geben, im Geiste des Elia, der sowohl die Gemeinde als auch Israel wiederherstellen wird, so dass Gott Jesus zurück auf diese Erde senden kann „den der Himmel aufnehmen (muss) bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge” (Apostelgeschichte 3,21).
Väter und Söhne
Es gibt viele Aspekte des Dienstes des Elia, die man betonen könnte. Sein Dienst konfrontierte ganz allein die Wankelmütigkeit Israels am Berg Karmel. Er beseitigte den Götzendienst in Israel und stellte den Altar Gottes wieder her. Doch es gibt eine besondere Berufung Elias, auf die sich der Prophet Maleachi als ein Kernstück seines Dienstes bezieht. Sie ist Gott so wichtig, dass Gott erklärt, dass er das Land mit einem Bann schlagen muss, wenn diese Berufung sich nicht als erfolgreich erweist.
„Siehe, ich sende euch den Propheten Elia, bevor der Tag des HERRN kommt, der große und furchtbare. Und er wird das Herz der Väter zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern umkehren lassen, damit ich nicht komme und das Land mit dem Bann schlage (d.h. damit ich nicht, wenn ich komme, den Bann an dem Land vollstrecken muss).“Maleachi 3, 23+24.
Die Wiederherstellung der Vaterbeziehung zu den Söhnen und der Sohnesbeziehung zu den Vätern ist offensichtlich für Gott so wichtig, dass er bereit ist, die Erde mit einem Fluch zu bestraften, sollte dies nicht passieren. Die Vater-Sohn-Beziehung ist Gott heilig. Das erste der zehn Gebote, dass eine besondere Segensverheißung für Gehorsam beinhaltet, lautet: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit deine Tage lange währen in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt“ (2. Mose 20,12).
Auch hier kann die Beziehung zwischen Kindern und Eltern über Segen und Fluch entscheiden. Dieses Prinzip gilt auch für die Beziehungen zwischen den Generationen innerhalb des Volkes Gottes. Es sind übrigens nicht nur die Jungen, die die vorangegangenen Generationen, auf deren Schultern sie stehen, ehren und respektieren sollen, sondern es bezieht sich auch auf die ältere Generation. Sie müssen ebenso ihre Herzen öffnen und weit machen für die neuen und oft so anderen Herangehensweisen der jungen Generation.
Die Sprüche der Väter
Es ist auch beachtenswert, wie das Neue Testament das Wort „Väter“ (patere auf Griechisch, Plural) benutzt. Dieses Wort erscheint 53 Mal in den christlichen Schriften, doch nur viermal bezieht es sich auf die biologischen Väter (Epheser 6,4; Kolosser 3,21; Hebräer 11,23 und 12,9). In den übrigen Passagen wird das Wort „Väter” auf vorangegangenen Generationen des Volkes Israel bezogen. Hier einige Beispiele:
„…wie er zu unseren Vätern geredet hat - gegenüber Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit“(Lukas 1,55).
„Unsere Väter aßen das Manna in der Wüste, wie geschrieben steht: ‚Brot aus dem Himmel gab er ihnen zu essen.‘“ (Johannes 6,31)
„Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, ….“ (Apostelgeschichte 3,13)
„Trefflich hat der Heilige Geist durch Jesaja, den Propheten, zu euren Vätern geredet…“ (Apostelgeschiche 28,25)
Eines der führenden rabbinischen Traktate des Talmud wird Pirkei Avod genannt, was „die Sprüche der Väter“ bedeutet. Auf dieselbe Art und Weise bezeichnen die Autoren des Neuen Testaments alle vorherigen Generationen Israel, von Abraham bis zu den Propheten als „Väter“. Oft werden insbesondere die Patriarchen so bezeichnet.
Paulus erklärte, das seines der großen Privilegien des Jüdischen Volkes darin besteht, dass „denen auch die Väter gehören“ (Römer 9,5). Auf diese Väter geht die Identität und Existenz der jüdischen Nation zurück. Paulus sagt, dass sich das jüdische Volk sogar in einem Zustand der Rebellion befinden kann und als „Feinde des Evangeliums“ gilt, doch dies ändert nichts an Gottes Treue zu seinem Volk, da sie weiterhin „Geliebte um der Väter willen“ sind (Römer 11,28).
Etwas noch Bemerkenswerteres begegnet uns im Leben der ersten Apostel. In der Apostelgeschichte werden sowohl Stephanus (Kapitel 7) als auch Paulus (Kapitel 22) mit feindseligen jüdischen Menschenmengen konfrontiert, die sie steinigen wollen. Stephanus wird der erste Märtyrer, während Paulus gerade noch diesem Angriff auf sein Leben entkommen kann. Doch beide wenden sich an dieses zornige Publikum in einer erwartungsvollen Haltung: „Ihr Brüder und Väter, hört!“ (Apostelgeschichte 7,2; 22,1) Beiden war der Hass, der ihnen entgegenschlug, vollkommen bewusst, und doch ehrten sie beide ihre jüdischen Mitbürger und nannten sie „Väter
Kindlein
Jesus hingegen bezeichnete seine Jünger oft als Kinder (Johannes 21,5) oder sogar „Kindlein“ (Johannes 13,33). Genauso bezeichneten die ersten Apostel, wenn sie sich an die Gemeinde wandten, diese regelmäßig als „Kinder“ (1. Korinther 4,14; Galater 4,19; 1. Johannes 2,1).
Wir finden diesen Sprachgebrauch schon sehr früh, wenn Johannes der Täufer sagt: „Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken!“ (Matthäus 3,9). Die meisten Bibellehrer sehen dies als einen Hinweis auf Gottes Plan, eines Tages die Nationen in den Segen des Bundes mit Abraham gemeinsam mit Israel hineinzunehmen.
Der Apostel Paulus schreibt in Galater 3,7: „so erkennt auch: Die aus Glauben sind, diese sind Abrahams Kinder“ (siehe auch Römer 9,7).
Mit anderen Worten, das Neue Testament trifft eine klare Unterscheidung zwischen dem natürlichen Samen Abrahams als den „Vätern“ und der Gemeinde als ihrer geistlichen „Kinder“.
Wiederherstellung ist nötig
Der verstorbene Papst Johannes Paul II. bezeichnete die Juden einmal als die „älteren Brüder“ der Kirche. Ich glaube, es ist viel angemessener, Israel als die „Väter“ der Kirche und Gemeinde zu bezeichnen. Es ist eine Tatsache, dass uns alles, was uns als Christen ausmacht, vom jüdischen Volk gegeben wurde. Die Bibel ist ein jüdisches Buch. Jesus wurde als Jude geboren und starb als König der Juden. Die Apostel waren alle Juden, und die Urgemeinde war ausschließlich jüdisch.
Zurück zum Propheten Maleachi; er erklärte, dass ein wichtiger Teil des Dienstes des Elias in den letzten Tagen darin bestehen würde, „das Herz der Väter zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern umkehren (zu) lassen“. Hier ist Wiederherstellung tatsächlich dringend nötig. Es gibt einen historischen Bruch zwischen der Gemeinde und dem jüdischen Volk, der auf die Frühzeit der Gemeinde zurückgeht. Die Verfasser des Neuen Testaments berichten, dass die ersten Gläubigen beträchtlicher Verfolgung durch ihre jüdischen Brüder ausgesetzt waren. Das geschah nicht nur in Jerusalem und in Israel (Apostelgeschichte 5,17ff; 8,1ff), sondern auch in Kleinasien (Apostelgeschichte 14,1ff) und Griechenland (Apostelgeschichte 17,5ff).
Als die junge Gemeinde immer heidnischer wurde, vergaß sie sehr schnell die jüdischen Wurzeln ihres Glaubens. Als die Christen unter Konstantin an die Macht kamen, verfolgten sie die Juden mit Macht. So wurde die Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen in den letzten 2000 Jahren hauptsächlich durch Hass und Blutvergießen bestimmt.
Juden wurden von den Kreuzfahrern sowohl in Europa als auch im Heiligen Land massakriert, während der spanischen Inquisition gefoltert, in Pogromen in ganz Europa gewaltsam verfolgt, und erst vor siebzig Jahren wurden im Holocaust über sechs Millionen Juden von Deutschland ermordet, dem Land der Reformation. Die Kirch entehrte Jahrhunderte lang gewaltsam die Väter ihres Glaubens und entfachte die Flammen des christlichen Antisemitismus.
Wiederherstellung und Versöhnung sind daher dringend geboten, da anderenfalls Gott sagt: „Ich werde das Land/die Erde mit einem Bann schlagen.“ Doch es gibt heute viele Zeichen, die uns große Hoffnung machen, dass ein neuer Tag angebrochen ist, an dem der historische Bruch zwischen Juden und Christen geheilt wird. Die Bildung eines Knesset-Ausschusses für christliche Verbündete im Israelischen Parlament oder die „Christlichen Freunde Yad Vashem“ vermitteln uns diese große Hoffnung.
Auf der ganzen Welt entstehen neue Freundschaftsgruppen, in denen Juden und Christen gemeinsam an einem besseren Verständnis und besserer Kooperation arbeiten. In Gemeinden auf der ganzen Welt sehen wir einen neuen und beispiellosen Enthusiasmus für Israel und das jüdische Volk. Riesige Pro-Israel-Demonstrationen, große Gebetsnetzwerke für Israel und unzählige Initiativen zum Segen Israels gibt es mittlerweile auf jedem Kontinent.
Es sind spannende historische Entwicklungen. Ein weiterer Meilenstein war die Rede von Botschafter Ron Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, beim ICEJ-Laubhüttenfest 2013 in Jerusalem. Als Vertreter jüdischer Gemeinden auf der ganzen Welt dankte er nicht nur den Christen für ihre Unterstützung Israels, sondern versprach auch: „Wenn Ihre Kirchen im Nahen Osten brennen, werden wir Juden protestieren und Ihnen zur Seite stehen.“ Seit Jahrhunderten haben wir solche Worte nicht gehört.
Fazit
Diese Berufung, die Herzen von Vätern und Söhnen einander wieder nahe zu bringen, ist das Herzstück des Dienstes der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem. Wir verbinden den Bruch, heilen die Wunden, stellen Wege wieder her, auf denen man gehen kann und bereiten so den Weg für die Wiederkunft des Messias vor. Juden und Christen mögen sich immer noch uneinig darüber sein, wer der Messias ist, doch jetzt ist es Zeit, dass beide Seiten ihre Herzen einander zuwenden.
Für Juden bedeutet dies, anzuerkennen, dass die christliche Gemeinde ein Abkömmling ihrer eigenen Tradition und ihres eigenen Glaubens ist. Menschen auf der ganzen Welt wertschätzen eine persönliche Beziehung mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Eingang in diese Beziehung findet man durch einen jüdischen Messias, von dem Gott sagt: „Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen. So mache ich dich auch zum Licht der Nationen, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde“ (Jesaja 49,6).
Für die Gemeinde ist es von höchster Bedeutung, dass wir die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens anerkennen. Es geht um Respekt für das Volk, das von Gott berufen wurde, der Welt Gottes Wort und den Messias zu geben und die Nationen in eine Bündnisbeziehung zu dem Gott Israels zu bringen. Wenn wir den Stamm des Baumes, der uns als Gemeinde trägt (Römer 11,18) nicht anerkennen, führt dies zu einem Glauben ohne richtiges Fundament, und das kann fatal sein. Ob Israel auf unsere Liebe und Freundschaft reagiert oder nicht, und selbst wenn sie Feinde der Gemeinde sind, sollten wir uns daran erinnern, dass Gott sie immer noch liebt um der Väter willen – und das sollten wir auch tun.
Ich bin optimistisch, dass Gott die Erde nicht mit einem Bann schlagen muss, sondern dass der Geist des Herrn unsere Herzen einander zuwenden wird und der Herr daher sowohl Israel als auch die Gemeinde segnen wird – so dass wir „unsere Tage verlängern“ in unserem Land und Erbe, die der Herr uns gibt.
Dr. Jürgen Bühler ist Gesamtleiter der ICEJ in Jerusalem.