Von:
Hanna Tischer, Hebräisch-Lehrerin und Referentin
Wurzeln, hebräisch שׁוֹרָשִׁים, sind wichtig, sogar lebenswichtig, vor allem in der Botanik. Ohne Wurzeln kein Leben. Über sie nimmt die Pflanze auf, was sie zum Leben braucht. Und sie geben Halt. Je tiefer die Wurzeln, umso fester der Stand und umso sicherer ist auch die Wasserversorgung gewährleistet. Sprichwörtlich ist der am Wasser gepflanzte Baum. Auch der Boden spielt eine wichtige Rolle. Nicht jede Pflanze gedeiht auf jedem Boden. Wurzeln sind in der Regel verborgen, aber sie sind entscheidend für den Zustand der Pflanze. (Foto: Unsplash, Baum mit tiefen Wurzeln, Symbolbild)
Lebenswurzeln
Es gibt auch Wurzeln im übertragenen Sinn, z.B. Familienwurzeln oder geistige Wurzeln. Manchmal neigen wir dazu zu vergessen, dass auch hier all die eben genannten Regeln wirksam sind, ob wir das wollen oder nicht. Von solchen Wurzeln spricht Gott in der Bibel. Immer geht es darum, aus welcher Quelle ein Mensch – oder eine Gemeinschaft von Menschen – lebt. Die Früchte bzw. der sichtbare Zustand der „Pflanze“ lassen Rückschlüsse auf die Qualität der Wurzeln und des Bodens zu.
Der Gott der Hoffnung
Gott sieht ins Verborgene. Er sieht auch die Wurzeln von Dingen und Zuständen. Seine Diagnose ist in der Bibel oft hart und direkt. Aber er konfrontiert nicht, um zu verdammen, sondern um zur Veränderung zu locken. Er ist der Gott der Hoffnung (Römer 15,13) und des Lebens, der reinigt, verändert, erlöst. Aber er braucht dazu unsere Bereitschaft, gemeinsam mit ihm an unseren Wurzeln zu arbeiten. Zwei dieser Wurzelthemen der Bibel werden wir uns nun näher anschauen.
Gewurzelt in der Liebe Gottes
Gottes Liebe und Zuwendung ist der Ausgangspunkt von allem. Die Bibel hat dafür den zentralen Begriff chesed חֶסֶד, ein Wort, das die gegenseitige aktive Hingabe in einer Beziehung ausdrückt, in unseren Bibeln mit Liebe, Güte, Barmherzigkeit und Gnade übersetzt. Aus diesem liebenden Vaterherzen entsprang der Wunsch, Menschen zu schaffen, mit denen er all seine Herrlichkeit teilen könnte, und die als geliebte Söhne und Töchter unter diesem leuchtenden Blick leben und diese Liebe reflektieren würden, ihm gegenüber und auch untereinander.
Diese heile Welt ist für uns Menschen mit dem Sündenfall zerbrochen. Doch aus Gottes liebendem Vaterherzen entsprang auch sein genialer Erlösungsplan, den er mit Abraham begann, und der im Sterben und Auferstehen von Jesus gipfelte. Nun lädt er uns ein, nicht länger aus anderen Quellen zu leben, auch Nächstenliebe und Dienst für Gott nicht mehr aus eigenem Bemühen hervorzubringen, sondern unsere Wurzeln wieder tief in seinem Vaterherzen zu verankern und aus dem empfangenen Überfluss weiterfließen zu lassen. Darum betet Paulus für die Gemeinde, „dass ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.“ (Epheser 3,17) Für viele von uns, gerade auch für uns „Fromme“, ist das oft ein Weg – weg vom frommen Bemühen hin zum Sein in seiner Liebe und zum Überfließen. Ein lohnender Weg!
Gewurzelt im edlen Ölbaum
Für diese Erlösungspläne wählte Gott einen erstaunlichen Weg. Da es ihm um die Wiederherstellung von Beziehung geht, begann er diesen Weg mit der Freundschaft zu einem Menschen, dem Mann Abraham. „Freund Gottes“ heißt er in der Bibel, Bundespartner Gottes. Diese gewachsene Vertrauensbeziehung, mit der Abraham seine ganze Familie prägte, sollte zum Sprungbrett werden, über das Gott alle seine verlorenen Kinder in allen Nationen zurückgewinnen wollte. „In dir sollen gesegnet werden alle Sippen der Erde“ sagte Gott in 1.Mose 12,3 zu Abraham. In jeder Generation lockte er die Nachkommen dieses Bundesfreundes zu einem Leben, gewurzelt und gegründet allein in Gott als wahrer Quelle. Ein Leben in seiner Liebe und ein Reflektieren dieser Liebe – zurück zu Gott und den Mitmenschen gegenüber – sollte Dreh- und Angelpunkt dieser Bundesbeziehung sein (Matthäus 22,37). Das Volk Israel, das inzwischen aus Abrahams Nachkommen gewachsen war, sollte als ganze Gesellschaft diese Keimzelle sein. Alle Bereiche der Gesellschaft sollten wieder von Gott her geprägt sein, und von da aus wollte er alle anderen Völker in seine Erlösungspläne mit hineinziehen. Paulus beschreibt dies in Römer 11,17-24 als edlen Ölbaum: die gewachsene Bundesgeschichte Gottes mit Israel. Nun sollten auch Menschen aus anderen Nationen dort eingepfropft werden.
Freilich war auf dem Weg Israels mit seinem Gott nur allzu deutlich geworden, dass ohne tiefe Erneuerung von innen heraus ein Leben in der Bundesbeziehung mit Gott dauerhaft nicht möglich war. Diese Erkenntnis war wichtig als Vorbereitung für die neue Ebene im Bund, für die Gott selbst Mensch werden würde – in Jesus. Als dieser Auftrag vollbracht war, war es endlich soweit: die Bundesbeziehung mit Gott, bis dahin ausschließlich für Israel, konnte nun geöffnet werden für alle Nationen!
Die Wurzel trägt dich
Doch schon wenige Jahre später musste Paulus diesen neu Dazugekommenen schreiben: „Rühme dich nicht gegen die Zweige. Du sollst wissen, dass nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Römer 11,18) Ist es tatsächlich möglich, dass diese Gesuchten, Begnadeten aus den Nationen, für die Gott diesen langen Vorbereitungsweg mit Israel gegangen war, arrogant darauf reagierten, die zentrale Rolle Israels in dieser Erlösungsgeschichte ablehnten und sich selbst als Beginn einer neuen, christlichen Religion betrachteten? In der Botanik kommt dies einem eingepfropften Zweig gleich, der sich dem Baum, dessen Teil er geworden ist, samt dessen Wurzeln verweigert. Wird solch ein Zweig überleben und jemals Frucht tragen können?
Die Warnung des Paulus ist leider wahr geworden. Bis heute kranken wir als Christenheit weltweit an den Folgen der fatalen Entscheidungen, die in den ersten Jahrhunderten nach Christus getroffen wurden, als die Kirchenväter sich radikal von ihrem jüdischen Erbe lösten, eine neue, nichtjüdische, christliche Religion gründeten und 2000 Jahre lang zu den schlimmsten Verfolgern ihrer jüdischen Brüder wurden.
Wenn wir den Zustand dieser christlichen Pflanze heute betrachten – welche Rückschlüsse auf die Qualität der Wurzeln und des Bodens lässt er zu? Erlauben wir Gott, seine Diagnose zu stellen? Und dann? Ist Veränderung noch möglich? Ja! Denn so wie Gott Israel immer treu blieb, so ist er auch diesen arroganten eingepfropften Zweigen gegenüber treu. Wer durch Jesus im Bund mit Gott lebt, ist Teil dieses edlen Ölbaumes, ob er das will oder nicht. Er ist als Quereinsteiger in eine Geschichte und ein Erbe hineingekommen, das lange vor ihm mit Abraham und Israel begann. Es ist Zeit umzukehren, diese Wurzeln zu umarmen und aus unserem Erbe zu leben!
Wurzeln in der hebräischen Sprache
In semitischen Sprachen spielen Wurzeln eine entscheidende Rolle. Die meisten hebräischen Worte sind von einer „Wurzel“ שׁוֹרָשׁ Schoresch abgeleitet, die fast immer aus 3 Konsonanten besteht. Wie bei einem Baum liegt in der Wurzel die Identität, aus der sehr verschiedene, weit verzweigte Äste wachsen können. Zum Beispiel steht l-m-d ל מ ד für „lernen“. Aus dieser Wurzel kann man z.B. lamad´ti (ich lernte), limudim (Studium), Talmid (Schüler), Talmud (Lehre) …. bilden.
Die Wurzeln beschreiben in ihrer Grundbedeutung oft Bilder, einfache Handlungen aus dem Alltag, die in den abgeleiteten Worten mitschwingen. Hebräisch ist eine sehr bilderreiche Sprache, die keine abstrakten Begriffe kennt, sondern in praktischen Alltagsbildern und in Beziehungen denkt.
So sind auch die hebräischen Begriffe für Glaube וּנָהאֱמ sowie Treue /Wahrheit תאֱמֶ nicht abstrakt, sondern starke Beziehungsworte. Ihre Wurzel אמן amán (stützen) oder amen („so ist es!“) beschreibt etwas ganz Festes, Zuverlässiges, Vertrauenswürdiges. Das spiegeln all die abgeleiteten Adjektive wider und so zieht es sich durch alle Begriffe des gesamten Baumes „אמן“, von der Säule über den Baumeister, dem, der ein Kind auf dem Arm trägt – und eben auch beim Glauben an Dinge oder Personen, auf die man sich verlassen kann, die wahrhaftig sind.
Ähnlich beschreibt der Hebräerbrief unseren Glauben als einen Anker, der im Allerheiligsten, also in Gott selbst festgemacht ist (Hebräer 6,19). Er ist der ultimative „Amen“, verlässlich, vertrauenswürdig und treu. In ihm lasst uns tief wurzeln!
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