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ICEJ-Nachrichtenredaktion
Israel hat heute der sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust gedacht. Um zehn Uhr heulten im ganzen Land die Sirenen als die Bevölkerung für zwei Schweigeminuten innehielt. Restaurants, Cafés und Vergnügungsstätten blieben wie jedes Jahr am Jom HaSchoa, dem Tag des Gedenkens an Holocaust und Heldentum, geschlossen, Radio- und Fernsehprogramme waren fast ausschließlich der Erinnerung an die Schoa gewidmet. Zur staatlichen Gedenkveranstaltung in der Knesset war auch die deutsche Bundestagspräsidentin Bärbel Bas gereist, die in der Lobby der Knesset eine Kerze entzündete. „Ich verneige mich in Demut und Scham vor den Opfern des Holocaust. Wir dürfen nicht vergessen und wir werden nicht vergessen“, sagte sie. „Aus unserer historischen Schuld erwächst eine Verpflichtung. Wir müssen entschlossen Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen bekämpfen und wir müssen die Erinnerung wachhalten und sie an die jüngeren Generationen weitergeben.“ Bas war einer Einladung ihres israelischen Amtskollegen Mickey Levy gefolgt und ist die erste hochrangige deutsche Politikerin, die an der Gedenkveranstaltung teilnimmt, bei Politiker und hochrangige Würdenträger jedes Jahr die Namen von Opfern des Holocaust verlesen. Am heutigen Donnerstag berichteten einige Politiker, u.a. Premierminister Naftali Bennett, Staatspräsident Isaac Herzog und Oppositionsführer Benjamin Netanjahu, sehr persönlich über das Schicksal ihrer eigenen Angehörigen, die im Holocaust ermordet wurden. (Foto: GPO/Kobi Gideon, Michal und Isaac Herzog entzünden eine Gedenkkerze, 28.04.2022)
Aufruf zu Einheit
Am Mittwochabend, bei einer Gedenkveranstaltung in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem), riefen Politiker die israelische Bevölkerung zu Einheit auf und forderten ein entschlossenes Eintreten gegen Antisemitismus und Holocaust-Relativierung. „Wir dürfen Israel nicht von innen heraus zersetzen“, warnte Premierminister Bennett und verwies auf den Aufstand im Warschauer Ghetto, als Juden unterschiedlicher politischer Ansichten „nicht kooperierten, sondern jede Gruppe für sich gegen die Deutschen kämpfte.“ Den Versuch, Kriege und andere Verbrechen mit dem Holocaust gleichzusetzen, wies er zurück. „Der Holocaust ist in der Menschheitsgeschichte ein beispielloses Ereignis. Selbst die schlimmsten Kriege heutzutage sind nicht wie der Holocaust. [...] Niemals, an keinem Ort und zu keiner Zeit, hat eine Nation eine andere in einer Weise zerstört, die so geplant, systematisch und kaltherzig war, und allein auf Ideologie gründete und keinen anderen Zweck hatte.“ Verteidigungsminister Benny Gantz sagte, Israel müsse neben der militärischen Stärke auch eine moralische Stärke haben, auf der Grundlage einer „kohäsiven Gesellschaft“. Staatspräsident Herzog erklärte, Israel sei nach dem Holocaust ein „Leuchtturm“ für Juden weltweit. Israels Existenzrecht in Frage zu stellen, sei „keine legitime Diplomatie, sondern reiner Antisemitismus, der ausgerissen werden muss“, warnte er und fügte hinzu: „Auch heute, acht Jahrzehnte nach dem dunkelsten Abgrund der Menschheitsgeschichte, ist der Antisemitismus, der unser Volk bedroht, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
Holocaustüberlebende aus Ukraine landen in Israel
In einem speziell ausgestatteten Flugzeug sind am Mittwochabend, dem Beginn des Jom HaSchoa, neun ukrainische Holocaustüberlebende in Israel gelandet. „Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal vor einem Krieg fliehen würde und das Einschlagen der Bomben um mich herum hören würde“, berichtete die 88-jährige Ninel Schilinska. „1941 war ich ein Flüchtling und nun bin ich wieder ein Flüchtling.“ Schätzungen zufolge sind seit Beginn des Ukraine-Kriegs Ende Februar rund 500 Holocaustüberlebende aus der Ukraine, Russland und Belarus nach Israel eingewandert. Die meisten trafen mit regulären Flügen ein, nur wenige mussten aufgrund medizinischer Anforderungen mit Sonderflügen evakuiert werden. „Während des Holocaust hatten sie keinen Zufluchtsort. Heute gibt es ein starkes jüdisches Heimatland“, erklärte Einwanderungsministerin Pnina Tamano-Schata. Auf dem Rollfeld wurde das eintreffende Flugzeug bereits von zahlreichen Krankenwagen in Empfang genommen. Die Neueinwanderer verließen unter den freudigen Rufen wartender freiwilliger Helfer und Regierungsvertreter auf Hebebühnen das Flugzeug. Ihr Gepäck bestand aus wenigen kleinen Koffern und Plastiktüten. Schilinska, die vor zwei Wochen aus Charkiw geflohen war, berichtete, wie sie in ihrer Wohnung ausgeharrt hatte, während Nachbarn in den U-Bahnstationen Zuflucht vor den Geschossen suchten. „Sie alle versteckten sich dort unten, aber wegen meiner gesundheitlichen Probleme konnte ich nicht hinunter gehen. Ich kam mir vor wie in Einzelhaft. Nachdem ich zehn Tage lang ohne Elektrizität auskommen musste, entschied ich, dass ich nach Israel ziehen sollte.“ Die älteste Passagierin war die 99-jährige Tatyna Ryabaya, die in Begleitung ihrer 73-jährigen Tochter reiste. Ryabaya, die zahlreiche Angehörige im Holocaust verloren hatte, berichtete: „Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Alter in einem Rettungsbus würde reisen müssen, länger als einen Tag, während die Bomben um uns herum einschlugen.“
Schimon Sabag, Direktor unseres Haifa-Heims für Holocaustüberlebende, ist mit einem Team in der Ukraine unterwegs, um Holocaustüberlebende zu evakuieren. Er konnte bereits rund 100 Überlebende aus zum Teil heftig umkämpften Regionen retten. (Hier zum Video)
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Umfrage: 47% der Israelis besorgt über zweiten Holocaust
Etwa die Hälfte (47%) der israelischen Bevölkerung ist besorgt, dass ein weiterer Holocaust über das jüdische Volk kommen wird. Das ergab eine Umfrage, die am Sonntag in der israelischen Tageszeitung Israel Hayom veröffentlicht wurde. Frauen (55%) zeigten sich besorgter als Männer (42%), unter 25-Jährige (24%) besorgter als über 45-Jährige (12%) und ultraorthodoxe (23%) besorgter als säkulare Juden (11%). Angesichts der schwindenden Zahl Holocaustüberlebender in Israel gaben etwa 56% der Befragten an, dass aufgezeichnete Zeitzeugenberichte wichtig seien, um die Relevanz des Jom HaSchoa zu wahren. 19% glauben, dass der Gedenktag mit der Zeit an Bedeutung verlieren wird. In Israel leben noch rund 161.400 Holocaustüberlebende (Stand April 2022). Ihr Durchschnittsalter ist 85,5 Jahre. Etwa 31.500 sind älter als 90 Jahre, mehr als 1.000 sind über 100 Jahre alt. Die meisten Überlebenden leben in Haifa (11.000), gefolgt von Jerusalem (10.000), Tel Aviv (8.700), Aschdod (8.000) und Netanja (7.900). Im vergangenen Jahr starben in Israel 15.553 Holocaustüberlebende, das sind durchschnittlich 42 Todesfälle täglich.
ICEJ gedenkt am Jom HaSchoa
Mit der Initiative „Zwei Minuten gegen das Vergessen“ hat die ICEJ-Deutschland dazu aufgerufen, am israelischen Holocaustgedenktag Jom HaSchoa auch außerhalb Israels zwei Minuten an die Opfer und Überlebenden des Holocaust zu gedenken. ICEJ-Mitarbeiter trafen sich zum täglichen Morgengebet um 9 Uhr (10 Uhr israelischer Zeit) und hielten zeitgleich mit Israel zwei Schweigeminuten mit anschließendem Gebet für Überlebende der Schoa und ihre Familien. Außerdem wurden an Stolpersteinen von Holocaustüberlebenden in Stuttgart im Gedenken Rosen niedergelegt. Der Kaufmann Max Böhm betrieb ein Textilgeschäft in Stuttgart und war 30 Jahre lang mit einer Nichtjüdin verheiratet, die sich 1936 wegen seiner jüdischen Herkunft von ihm scheiden ließ. Vor der Deportation des 70-Jährigen am 22. August 1942 nach Theresienstadt musste er in mehreren Stuttgarter „Judenhäusern“ wohnen. Max Böhm wurde in Treblinka ermordet. Vorschläge zum individuellen Gedenken und ein Video zum Jom HaSchoa finden Sie auf unserer Webseite