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Wandel in der christlichen Einstellung gegenüber Juden

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

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von Ester Heinzmann

Über Jahrhunderte hinweg war die Kirchengeschichte durchzogen von antijüdischen Lehren, Verfolgung und Hass. Schriften und Predigten vieler Kirchenführer, Geistlicher und Theologen beschrieben Juden und den jüdischen Glauben auf schmäherische und beleidigende Weise. Das Judentum wurde allzu oft als finstere, teuflische Religion verunglimpft, Juden als „Gottesmörder“ verleumdet und aufs übelste verfolgt.

Diese feindliche Einstellung der Kirche gegenüber Juden wird auch im Umgang mit Judenchristen deutlich. Beginnend mit dem vierten Jahrhundert wurden Juden, die zum christlichen Glauben konvertierten, gezwungen, sich ganz von ihrer Herkunft und jüdischen Traditionen loszusagen. Sie mussten „christliche“ Namen annehmen und jeglichen Kontakt zu ihren jüdischen Verwandten abbrechen.

Im Mittelalter wurden im römisch-katholischen Spanien sogar gezielt Spitzel auf die Conversos (zum Christentum konvertierte Juden) angesetzt, um herauszufinden, ob sie nicht heimlich am Glauben ihrer Väter festhielten. Kam der Verdacht auf, dass sie am Freitagabend Kerzen entzündeten (und somit den Schabbat begingen) oder gar heimlich jüdische Feste feierten, drohte ihnen der Tod auf dem Scheiterhaufen.

Judenfeindliche Theologie

Im Laufe der Jahrhunderte waren es oft nur Einzelpersonen, die von der judenfeindlichen Theologie der Kirche abwichen und differenziertere Ansichten vertraten. Meist war ihre Meinung über Juden und Judentum nicht durchweg positiv, sondern lediglich gemäßigter im Vergleich zu ihrem Umfeld. Oft vermischten sich Neugier und Interesse am Judentum mit einem Gefühl der vermeintlichen „Überlegenheit“ des eigenen christlichen Glaubens.

Der deutsche Reformator Martin Luther war in den Anfangsjahren seines Wirkens den Juden wohlgesonnen. Anhand biblischer Texte unterstrich er die Auserwählung des jüdischen Volks und prangerte die grausame Behandlung der Juden durch Christen an. Doch Luthers Erwartungen, dass das jüdische Volk infolge der Reformation der Kirche den christlichen Glauben annehmen würde, wurden enttäuscht. Sie hielten weiterhin an ihrem jüdischen Glauben fest. Verbittert begann Luther gegen Ende seines Lebens übelste Verleumdungen und hetzerische Schriften gegen Juden zu verbreiten, die Teile der deutschen Gesellschaft über Jahrhunderte prägen sollten.

Einige andere Reformatoren waren ähnlich judenfeindlich eingestellt oder nahmen zumindest eine ablehnende Haltung ein, jedoch verbreiteten sie keine hetzerischen Schriften gegen Juden. Manche verabscheuten Luthers Schriften sogar.

Der Pietismus: Liebe zum jüdischen Volk

Im 17. Jahrhundert führte ein intensiveres Studium der Bibel zu einem neuen Verständnis der Eschatologie (Lehre von der Endzeit) und damit einhergehend der künftigen Wiederherstellung Israels. Dies bewirkte unter vielen gläubigen Christen eine veränderte Einstellung gegenüber dem jüdischen Volk. (Foto: Wikimedia Commons, Philipp Jacob Spener)

In Deutschland ist insbesondere Philipp Jacob Spener, einer der bekanntesten Vertreter des Pietismus, hervorzuheben. Speners Einstellung gegenüber den Juden war geprägt von Akzeptanz und dem Glauben, Judentum und Christentum seien eng miteinander verbunden. Im Gegensatz zur jahrhundertelang von den Kirchen propagierten Ersatztheologie, wonach die Kirche Israel als Gottes auserwähltes Volk ersetzt habe, war Spener überzeugt, dass die Juden weiterhin Gottes auserwähltes Volk seien. Darum müssten die Heidenchristen, die von Gott lediglich adoptiert seien, das jüdische Volk nicht nur achten, sondern auch lieben.

Für Spener nahm die Judenmission eine wichtige Rolle ein. Er lehnte jedoch sowohl die Ausübung von Zwang als auch das Verletzen der religiösen Gefühle von Juden ab. Praktische Hilfe und Freundschaften mit Juden blieben auch dann bestehen, wenn sie Missionierungsversuche ablehnten.

Zinzendorf: Hochachtung vor den Juden

Auch Speners Patenkind, der Pietist und spätere Begründer der Herrnhuter Brüdergemeinde Nikolaus Graf von Zinzendorf, empfand eine tiefe Liebe zum jüdischen Volk. Zinzendorf und die Herrnhuter Bewegung glaubten aufgrund biblischer Texte auch an eine künftige Wiederherstellung des jüdischen Volkes im Land Israel.

In seiner Schrift „Sonderbare Gespräche“ (1739) geht Zinzendorf in Form fiktiver Dialoge die in der christlichen Bevölkerung tiefsitzenden Vorurteile gegenüber Juden an und widerspricht auch dem christlichen Antisemitismus. Zinzendorf ermahnt die Christen zur Hochachtung vor den Juden und führt dafür folgende Gründe an:

  • Jesus sei Jude und um seinetwillen sollten Christen alle Juden lieben.
  • Den größten Teil der Heiligen Schrift verdankten die Christen den Juden.
  • Die Juden seien, im Gegensatz zu den eingepfropften Christen (Bild vom Ölbaum, Römer 11,17-24), direkte Nachkommen Abrahams. 
  • Die Bibel warne Christen davor, sich gegenüber den Juden zu rühmen, denn die Juden trügen die Christen, nicht umgekehrt.
  • Juden seien von der Errettung nicht weiter entfernt als die Christen.
  • Im Gegensatz zu den meisten Christen habe die Mehrheit der Juden eine große Gottesfurcht, einen Respekt vor der Thora und den Dingen, die ihnen geboten und verboten wurden.

Judenmission und messianisch-jüdische Bewegung

Zinzendorf unterhielt viele Kontakte zu Juden und interessierte sich für deren Bibelverständnis und verschiedene Auslegungen. Wie Spener war er ein Befürworter der Judenmission. Immer wieder versuchte er, jüdische Menschen mit der christlichen Botschaft bekannt zu machen. Er respektierte, dass die meisten seine Ansichten jedoch ablehnten. An seiner Hochachtung und seiner Liebe für das jüdische Volk hielt Zinzendorf sein Leben lang fest. (Foto: Wikimedia Commons, Nikolaus Graf von Zinzendorf)

Zinzendorf gilt auch als ein Pionier der messianisch-jüdischen Bewegung. Im Gegensatz zur jahrhundertelangen Haltung der Kirche, das Judentum zu verteufeln und Jesus-gläubige Juden zu zwingen, mit ihren jüdischen Traditionen zu brechen, unterstützte Zinzendorf die messianischen Juden darin, an ihren Traditionen festzuhalten. Jesus selbst habe als Jude gelebt und somit sollten seine jüdischen Brüder dies ebenfalls tun. Er förderte die Gründung eigenständiger messianisch-jüdischer Gemeinden, sog. „Judenkehillen“ (aus dem Hebräischen Kehila = Versammlung), was auch nach seinem Tod in Deutschland, England und der Schweiz fortgeführt wurde. Dies förderte mancherorts die Akzeptanz messianischer Juden unter den Heidenchristen.

Christlicher Zionismus

In England bewirkte der Einfluss der Puritaner, die außerbiblische Traditionen ablehnten und das persönliche Bibelstudium betonten, in Politik und Gesellschaft ebenfalls einen Wandel in der christlichen Einstellung gegenüber den Juden. Das seit 1290 geltende Verbot für Juden, sich in England niederzulassen, wurde 1655 wieder aufgehoben. Viele Anglikaner und freikirchliche Christen (wie z.B. Baptisten und Methodisten) gelangten anhand der Heiligen Schrift zu der Überzeugung, dass die Wiederherstellung Israels im Heiligen Land kurz bevor stünde. Einige gläubige Christen fühlten sich sogar berufen, beginnend mit den 1820er Jahren, ins Heilige Land zu reisen und die Heimkehr des jüdischen Volkes vorzubereiten.

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