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Wie Israel die Mordwelle unter Arabern stoppen will

Arabische Israelis von Gewaltkriminalität geplagt

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von Ester Heinzmann

Seit einigen Jahren werden die rund 1,9 Millionen arabischen Staatsbürger Israels von einer sich stetig verschlimmernden Welle der Gewalt geplagt. Allein 2021 wurden 126 arabische Israelis ermordet, fast doppelt so viele wie fünf Jahre zuvor (64 in 2016). Die meisten wurden Opfer des organisierten Verbrechens, beispielsweise von Schutzgelderpressung, aber viele starben auch infolge von Familienfehden oder Ehrenmorden. Seit israelische Medien das Thema aufgegriffen haben, ist das Problem mehr und mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt und der Druck auf die Behörden, das Problem anzugehen, steigt. (Foto: Unsplash, Araber in Jerusalem, Symbolbild)

Weite Verbreitung illegaler Waffen

Immer wieder geraten auch Unbeteiligte ins Kreuzfeuer - wie der vierjährige Ammar Muhammad Hujayrat aus dem nordisraelischen Dorf Bir al-Maksur, der am 6. Januar 2022 beim Spielen auf dem Spielplatz von einem Querschläger getroffen und tödlich verletzt wurde.

Einem Knesset-Bericht von 2020 zufolge gibt es in Israel rund 400.000 illegale Waffen, von denen die meisten in arabischen Ortschaften vermutet werden. Die Furcht, der Gewaltkriminalität schutzlos ausgeliefert zu sein, und der zugleich leichte Zugang zu illegalen Waffen führen zu einem nicht enden wollenden Teufelskreis, der immer mehr Menschen vereinnahmt. Viele der Waffen stammen aus dem Westjordanland oder werden von Schmugglern über den ägyptisch-israelischen Grenzzaun ins Land gebracht.

Untätigkeit der Politik

Zahlreiche arabische Israelis werfen der Regierung vor, das Problem zu lange ignoriert und ihre Sicherheitsbedürfnisse vernachlässigt zu haben. Außerdem herrscht eine weitverbreitete Frustration über die im israelischen Parlament, der Knesset, vertretenen arabischen Parteien. Viele werfen ihnen vor, zu sehr als Protestparteien aufzutreten, statt konstruktiv Lösungen für die Anliegen der Minderheit zu erarbeiten. Seit den ersten Parlamentswahlen 1949 sind arabisch-israelische Parteien in der Knesset vertreten. Abgesehen von ihrem oft demonstrativ zur Schau gestellten Kooperationsunwillen und wiederholten antiisraelischen Äußerungen haben sie bisher jedoch kaum von sich Reden gemacht.

Mansour Abbas, Vorsitzender der islamistischen Ra’am-Partei, kündigte im Dezember 2020 ein pragmatischeres Vorgehen an, brach mit der Tradition arabisch-israelischer Parteien und schloss sich im Juni 2021 der von Naftali Bennett und Jair Lapid geführten Koalitionsregierung an. Dass der Koalition auch nationalreligiöse und nationalkonservative Juden angehörten, störte ihn nicht. Er habe festgestellt, dass es vor allem nationalkonservative Politiker seien, die zivilbürgerliche Angelegenheiten der arabischen Bevölkerung „voranbringen“ wollten, erklärte er. Zugleich warf er linksgerichteten Parteien vor, die Araber zu „benutzen“, solange es ihnen dienlich sei. Mit der Beteiligung an der Bennet-Lapid-Regierung beabsichtigte er, die lange Zeit vernachlässigten Belange arabischer Israelis endlich anzugehen.

Verbesserte Polizeipräsenz

Den Vorwurf der Untätigkeit bekommen jedoch nicht nur die arabischen Volksvertreter zu hören. Auch die israelische Polizei sieht sich scharfer Kritik ausgesetzt. Tatsächlich wurden laut einem Bericht in der Tageszeitung Haaretz 2021 nur 23% der an Arabern verübten Morde aufgeklärt, im Vergleich zu 71% der Morde an jüdischen Israelis. Die Polizei wiederum beklagt eine fehlende Kooperation seitens der arabischen Israelis bei der Tataufklärung, die auch in der Furcht vor Racheakten begründet ist. Für die Sicherheitskräfte nehmen arabische Führungspersonen eine Schlüsselrolle ein. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Behörden könnte das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei stärken. (Foto: Israel Police, Polizisten, Symbolbild)

Auch die gezielte Rekrutierung arabischer Israelis in den Polizeidienst (geplant ist ein Zuwachs von rund 300% in den nächsten fünf Jahren) und die zeitgleiche verstärkte Polizeipräsenz in arabischen Ortschaften soll Abhilfe schaffen. Aktuell dienen rund 4.000 muslimische und christliche Araber sowie Drusen in der israelischen Polizei (Stand April 2022). Doch Kritiker beanstanden, diese Maßnahmen würden lediglich die Symptome bekämpfen, statt die Ursachen anzugehen. Neben der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Konfiszierung illegaler Waffen muss vor allem der sozioökonomische Status des arabisch-israelischen Bevölkerungsteils verbessert werden.

Sozioökonomische Faktoren

2020 waren nur etwa 38,9% der muslimischen Araber (52,4% Männer, 25,3% Frauen) sowie 53,7% der christlichen Araber (63,2% Männer, 48,8% Frauen) im Alter ab 15 Jahren beschäftigt (vgl. 66,4% der Juden). Etwa die Hälfte der arabischen Israelis leben in Galiläa und im Negev, fernab von den lukrativen Jobs der Hightech-Industrie in der Metropolregion Tel Aviv. In der Peripherie finden sich wenige Industrieparks und trotz des in den letzten Jahren vorangebrachten Ausbaus des öffentlichen Transportnetzes, sind viele arabische Ortschaften weiterhin unzureichend daran angeschlossen. (Foto: Pixabay, Die arabisch-israelische Ortschaft Fureidis nahe Haifa, Symbolbild)

Für die unterdurchschnittliche, jedoch wachsende Zahl arabisch-israelischer Hochschulabsolventen gibt es weiterhin kein angemessenes Arbeitsplatzangebot. Prozentual arbeiten mehr arabische Israelis in schlechter bezahlten Jobs als ihre jüdischen Landsleute: Rund 55% der beschäftigten arabischen Frauen sind im Gesundheits- und Bildungswesen (39% der jüdischen Frauen), rund 39% der beschäftigten arabischen Männer im Baugewerbe und im Handel (ca. 16% der jüdischen Männer) tätig.

Besonders aussichtslos scheint die Lage der 210.000 Beduinen in der Negev-Wüste. Rund 90.000 von ihnen wohnen in staatlich nicht anerkannten Ortschaften – ohne Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung und ohne öffentliche Dienstleistungen. Es gibt weder staatliche Schulen noch Polizeiarbeit. Das Pro-Kopf-Einkommen der Negev-Beduinen lag 2018 bei 22% des nationalen Durchschnitts. Die Aussicht, im Bereich des organisierten Verbrechens, beispielsweise beim Waffen- und Drogenschmuggel entlang der durch die Wüste verlaufenden ägyptisch-israelischen Grenze, schnell und viel Geld zu verdienen, ist hier besonders verlockend.

Der Zehn-Milliarden-Euro-Plan

Die israelische Regierung verabschiedete im Herbst 2021 einen Fünf-Jahres-Plan zur Verbesserung des sozioökonomischen Status arabischer Israelis. Für dessen Umsetzung werden 35 Milliarden Schekel (rund 10 Milliarden Euro) bereitgestellt. Ein Großteil der Gelder soll in die Gesundheitsversorgung, den Wohnungsbau und das Bildungswesen investiert werden. Zusammen mit der Digitalisierung in arabischen Ortschaften und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für arabische Frauen soll so die Disparität zwischen jüdischen und arabischen Israelis verringert werden.

Von den Geldern sollen 2,4 Milliarden Schekel (675 Millionen Euro) in die gezielte Bekämpfung der Gewaltkriminalität fließen. Die neugeschaffene „Sinai-Einheit“, eine Spezialeinheit der Polizei, der 45 verdeckte Ermittler angehören, ist seit September zur Verbrechensbekämpfung im Einsatz. Doch ob und wie schnell all diese Maßnahmen den arabischen Israelis ihr Sicherheitsgefühl zurückgeben können, bleibt abzuwarten. „Wir haben die Kontrolle verloren“, erklärte ein Polizeibeamter gegenüber israelischen Medien. „Wir reagieren immer nur mit Verspätung auf diese Vorfälle. Der nächste Mord ist nur eine Frage der Zeit.“

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